Die Schlacht bei Aldenhoven - Modell eines kritischen Verbundkonzepts?

 von Andreas Sturm

Living history (im folgenden kurz "LH") ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem festen Bestandteil der Museumskultur in vielen Ländern Europas und den USA herangewachsen. In Deutschland herrschte dagegen lange Zeit Skepsis, ob LH tatsächlich einen sinnvollen Beitrag zur Vermittlung von Geschichte in Museen leisten kann. Nach anfänglichen Berührungsängsten gibt es nun aber auch hier immer mehr Versuche, LH in die Museumspädagogik einzubinden.

Ich möchte hier eine Veranstaltung vorstellen, die meiner Meinung nach als gutes Beispiel für ein Mischkonzept dienen kann, bei dem das konventionelle Museum und LH ineinander greifen und sich ergänzen. In diesem speziellen Fall liegt der Schwerpunkt bei der militärischen Darstellung.

Dieses Beispiel scheint mir besonders bemerkenswert, da es ein besonders heikles Thema aufgreift: Die Darstellung von Tod und Gewalt.

Militärische Darstellungen und Handlungen sind Ursprung und zugleich Kern vieler LH- und re-enactment-Gruppen. Über die napoleonischen Kriege, den Amerikanischen Bürgerkrieg bis hin zu Vietnam und den Golf-Krieg reichen die Interessen der re-enactors. Aufwendige Darstellungen von historischen Schlachten sind der herbeigesehnte Höhepunkt einer Saison.

Zugleich offenbaren sich hier aber auch immer wieder die Gefahren des allzu unkritischen Spiels mit der Geschichte. Echte "Tote" kann es nicht geben; Waffen werden zu bestaunten Schau-Objekten der Kinder, Uniformen und Rüstungen lassen den Träger und seine Ängste in den Hintergrund treten - das Greuel des Krieges erliegt allzu leicht unserer Schau-Lust.

Die Veranstalter der Ausstellung in Jülich unternahmen viel, um die Schwächen eines Schlacht-re-enactments aufzufangen. Im folgenden will ich meinen Eindruck von der Veranstaltung schildern.

Das Gesamtprojekt

Der Riss im Himmel - Clemens August und seine Epoche.
13. Mai - 1. Oktober 2000
Ausstellungen und Veranstaltungen in Bonn, Brühl, Jülich, Köln und Miel.

Am 17. August. 2000 wäre Clemens August, Erzbischof von Köln und Kurfürst, 300 Jahre alt geworden. Der Geburtstag des Herrschers über weite Teile des heutigen Nordrhein-Westfalens ist der Anlaß, seine Zeit, das Zeitalter des Barock und Rokoko, mit Blick auf das Rheinland zu präsentieren.

In vier Ausstellungsorten entsteht noch einmal die Welt des kurfürstlichen Hofes (Schloß Augustusburg bei Brühl), das Leben in der Residenzstadt (Bonn), das Kriegswesen (Jülich) und die Wohnkultur (Miel) im 18. Jahrhundert.

Mit dem Großprojekt "Der Riss im Himmel" wird im nächsten Jahr [sic!] die Epoche des Barock und Rokoko im Rheinland an vielen Orten lebendig. Jülich setzt dabei eigene Akzente: Mit der Ausstellung des Museums Zitadelle und zahlreichen Veranstaltungen des Kulturamtes am Brückenkopf wird die historische Kulisse der Stadt zur eindrucksvollen Bühne für Inszenierungen einer längst vergangenen Zeit. (Presseinformationsmappe des Museums Jülich)

Die Veranstaltung "Die Schlacht von Aldenhoven" in Jülich

Jülich hat aufgrund seiner Festungsanlagen das Grundthema Kriegswesen. Kern ist die Ausstellung "Die Ästhetik des Krieges?" in der Zitadelle von Jülich. Sie beleuchtet das Verständnis dieser Zeit von Krieg als mathematisch berechenbarer Operation und die Gegensätze zwischen dem Offiziersleben und dem des einfachen Soldaten.

Die 2. Schlacht von Aldenhoven am 01. 10. 1794 bildet gleichsam den Schlußpunkt des barocken Militärwesens. Eine schlecht ausgerüstete französische Freiwilligen-Armee besiegt eine gut ausgerüstete absolutistische Söldnerarmee.

Durchführung

Ein vergleichsweise kleines Biwak von napoleonischen Darstellergruppen aus Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden sollte "die militärischen Aspekte dieser Epoche als Ergänzung zur Ausstellung 'Die Ästhetik des Krieges?' in der Zitadelle verständlich" machen. "Die grausamen Realitäten einer Schlacht können durch diese Veranstaltungen nicht dargestellt werden [!]. Es soll aber ein hautnaher Einblick in die soldatische Alltagswelt am Ende des 18. Jahrhunderts gewährt werden." (Faltblatt "Schlacht von Aldenhoven")

Man beachte, wie die Meinung vertreten wird, dass ein re-enacment nicht in der Lage ist, alle Aspekte eines Krieges angemessen darzustellen.

Das Schlacht-re-enacment selbst hat dies bestätigt. Selbst eine kommentierte Schlachtdarstellung reicht lange nicht aus, eine Kriegshandlung mit allen Konsequenzen vorzuführen. Die Zuschauer machten nicht den Eindruck, als ob sie hier in das Antlitz des Krieges blicken. "Fallende Soldaten" riefen ob der Darstellung vielmehr Schmunzeln hervor! Die "Schlacht" wirkte wie ein Geländespiel, bei dem man Lust bekommt, mitzumachen. Ein Vorgang, der das Kind in uns weckt, weil es uns an unsere Cowboy- und Indianer-Spiele erinnert.

Im folgenden will ich darauf eingehen, wie versucht wurde, diese Defizite der LH auszugleichen.

Flankierende Maßnahmen zum re-enacmtent

In vielen Texten auf Schautafeln wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass ein LH-Display nicht vermag, die Realität des Krieges wirklichkeitsgetreu darzustellen und es wurde davor gewarnt, das Gezeigte mit der historischen Realität gleichzusetzen.

Deshalb griffen die Veranstalter zu verschiedenen Maßnahmen:

a) Ein Wald aus Zitaten aus der Epoche über den Krieg. In der Mitte stand ein Sarkophag, dahinter ein Spiegel. Am oberen Rand mit dem Wort "Täter", unten "Opfer".

b) Eine Ausstellung "Die Schrecken des Krieges" mit Radierungen von Goya. Er illustriert mit eindringlichen Bildern seine Eindrücke vom Spanischen Befreiungskampf gegen die napoleonischen Besatzungstruppen. Zu sehen waren u.a. Leichenberge, bestialische Hinrichtungen, Massenerschießungen von Zivilisten usw.

c) In einem Zelt wurden in einer Diaserie Kriegsbilder vom 16. bis zum 20. Jahrhundert gezeigt. Der ausdrückliche Hinweis, dass die Bilder für Kinder nicht geeignet sind, war gerechtfertigt. Zu sehen waren u.a. eine vollständig abgerissenes Gesicht, so dass die toten Augäpfel aus dem freigelegten Schädelknochen starrten.

d) Auf einer Tafel konnten die Besucher Begriffe zum Thema Krieg ergänzen und weitere Assoziationen niederschreiben, z.B. "Lunte riechen", "auf's Korn nehmen"

e) Auf einer Tafel hatten Besucher Gelegenheit, ihre Gedanken in einem Meinungsforum an eine Tafel zu heften.

Einige Stimmen im Schreib-Gespräch:

"Bei einer Schlacht Cowboys gegen Indianer würde sich niemand aufregen. Nur bei einer Veranstaltung, bei der auch u.a. deutsche Soldaten gezeigt werden, hagelt es Proteste. So was gibt's nur bei uns."

"Die richtige Kombination: Die Schlacht nachstellen, aber auf die Problematik hier hinweisen."

"In England ist der Krieg (ALLE, auch der 2te) längst Entertainment. Das verhindert Vergessen."

"Ich will mehr Blut sehen!!! ;o)"

"Krieg als Folklore: abartig und verharmlosend."

"Geschichte als lebendig dargestelltes Ereignis hat nichts mit Militarismus zu tun. Diese Art der Vermittlung von Geschichte wird täglich im Fernsehen gezeigt. Ohne Einwände!!!"

"Man stellt sich vor, welche "Löcher" so ein altmodisches Bajonett in lebendige Körper gerissen hat."

Schlußfolgerung

LH-Präsentationen in Museen beschränken sich bisher oft auf ergänzende Maßnahmen zu Austellungen (wie z.B. Modenschauen, Bastelangebote für Kinder oder Handwerksvorführungen). Eine Reflexion der LH-Displays in den Ausstellungen findet dagegen selten statt. LH wird oft die Rolle eines "eye-catchers" zugewiesen, der Publikum in die eigentliche Stätte der "wertvollen Bildung" locken soll.

Die Veranstalter der Ausstellung in der Zitadelle Jülich hielten eine isolierte LH-Präsentaion für gefährlich, da sie wichtige Aspekte des Krieges nicht zeigen kann oder nur verzerrt darstellt.

Living history wurde aber nicht als Lockangebot, sondern als ein weiteres Instrument in der Sammlung der vorhandenen Kommunikationsmittel des Museums verstanden. Ausstellung und LH-Präsentation waren gleichberechtigte Partner, sie bedingten sich gegenseitig und nutzten die jeweiligen Stärken des anderen Mediums. In gleichem Maße versuchte man Schwächen des Partners aufzufangen.

   © Andreas Sturm 2001

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